Stürmerin mit Schalmeientönen

Peter Branner im Gespräch mit Sasha Calin

In der Pause eines Konzertes fragte mich letztens eine doch etwas sehschwache Freundin unseres Vereins, ob denn Frau Unterer (sie kannte sie mit Namen!) eine neue Frisur hätte. Stolz konnte ich ihr vermelden, dass das MOS nicht nur eine erste Erste hätte, sondern auch noch eine zweite Erste. Gemeint war natürlich die Stelle der Solooboistin. Die Frage aber ist Grund genug, die zweite Erste, also Sasha Calin, vor zustellen.

Frau Calin, wenn ich Sie im Internet beim MOS suche, dann finde ich ein Bild, auf dem Sie Ihre Oboe wie einen Golfschläger halten. Spielen Sie Golf?

(Lacht) Nein. Die Fotografin hat von uns nicht nur offi-zielle Posen verlangt, sondern auch etwas ausgefallenere. Aber ich liebe Sport sehr. An der Universität habe ich viel gemacht: Leichtathletik, Hockey, Fußball. Jetzt spiele ich nur mehr Fußball mit meinen Kollegen. Leider bin ich die einzige Frau. Heuer habe ich im Spiel des Orchesters gegen das Landestheater gespielt.

Welche Funktion haben Sie im Fußball?

Ich bin Stürmerin auf der rechten Seite, weil ich keinen „linken Fuß“ habe. Als Fan des FC Liverpool verfolge ich regelmäßig die Spiele.

Ivor Bolton ist ja auch ein Fußballfan.

Ja, er ist ein Fan von Arsenal. Diesbezüglich können wir nicht zusammenfinden.

Woher kommen Sie aus England?

Aus Bath in Südwestengland, wo meine Eltern leben. Ge-bo ren wurde ich allerdings in der Nähe von San Francisco. Meine Eltern, die beide Ärzte sind, arbeiteten damals gerade drüben. Deshalb besitze ich auch einen amerikanischen Pass. Bereits nach 6 Wochen kam ich nach England. Ich habe eine Zwillingsschwester, die lebt in New York, ist Schauspielerin und Schriftstellerin. Unsere ältere Schwester ist Klinische Psychologin in London.

Wann haben Sie mit der Musik begonnen?

Zuerst habe ich mich mit Klavier und Geige herumgeschlagen. Erst bei der Blockflöte war ich glücklich, so dass mich meine Mutter dann ab 14 nach London zum Oboen-Unter-richt bei der Junior Guildhall geschickt hat. Ich habe dann an der Cambridge University Geografie stu diert und mit dem Bachelor abgeschlossen. An der Universität gab es viele Orchester, in denen ich oft zwei bis drei Konzerte pro Woche spielen konnte. Zwischen meinem 16. und 18. Lebens jahr spielte ich drei Mal pro Jahr im National Youth Orchestra of Great Britain sowie später im European Union Youth Orchestra. In dieser Zeit konnte ich Sir Colin Davis, Vladimir Ashkenazy und Mark Elder erleben. Dabei wurde mir klar, dass ich eigentlich Oboistin werden möchte. So habe ich nach Cambridge ein zweijähriges Postgraduate-Studium an der Royal Academy absolviert. Danach bin ich nach Leipzig gegangen, um eine Zusatzausbildung zu machen.

Ging es da um die Barockoboe?

Nein, Barockoboe habe ich schon vorher gespielt. Meine Mutter, die viel für uns getan hat, war sehr musikinteressiert. Sie gründete in Bath ein Barockorchester und da habe ich bereits mitgespielt.

Was ist der Unterschied zwischen einer Barockoboe und einer modernen Oboe?

Gute Frage. Der wichtigste ist, dass die Barockoboe nur drei Klappen hat. Wenn man G spielt und dann ein hohes G, muss man mit dem Bauch arbeiten. Es gibt keine Oktave-Klappen. Der Klang ist ein bisschen weicher, weniger direkt als bei der modernen Oboe und man spielt mit einer Stim-mung von 415 gegenüber 443 Hertz beim modernen Orchester.

Ist die Barockoboe schwieriger zu spielen?

Sie ist nicht schwieriger, sondern anders zu spielen. Bei der modernen Oboe gibt es das ganz kleine Rohr, also das Mund stück, und sehr viel Widerstand. Also ist es wichtig, nicht zuviel oder zuwenig Luft zu haben. Um das richtige Maß zu finden, muß man sich die Blätter für das Rohr selbst bauen bzw. schnitzen. Das ist wirklich eine Kunst und es dauert eine Ewigkeit bis man das beherrscht. Es gibt zwar Maschinen, dennoch brauche ich mehr Zeit für den Bau des Rohres als für das Üben. Zum Beispiel kann es sein, dass ich an einem Tag drei Stunden baue und zwei Stunden übe. Die Sorgfalt beim Bau ist deshalb so wichtig, weil davon Klangqualität und Ansprache des Tons abhängen.

Aus welchem Material ist so ein Rohr?

Das ist ein Pfahlrohr aus Bambus, das meist aus einer kli-matisch begünstigten Region aus Südfrankreich kommt. Das Innen rohr muß ausgehobelt und dann mit einer Hülse verbunden werden. Es ist Millimeterarbeit. Wenn ich ein Rohr mit 72 statt 71mm verwende, klingt es total anders. Spiele ich in England, wo 440 Hertz üblich sind, statt der hier ge-bräuchliche 443, muss die Einstellung ganz anders sein.

In Wien spricht man von der Wiener Oboe. Kennen Sie die und können Sie die auch spielen?

Das ist ein ganz anderes, ein eigenes Instrument, das man nur in Wien spielt und sonst nirgends. Ich könnte also in keinem Wiener Orchester spielen.

Wie kamen Sie zum Gewandhausorchester in Leipzig?

Durch ein Austauschprogramm konnte ich in diesem Or-ches ter als Substitutin spielen und als Barockoboistin mit dem Leipziger Barockorchester.

Sie waren dann in Zürich im Opernorchester unter Franz Welser-Möst.

Da hatte ich eine Orchester-Akademie-Stelle. Da konnte ich wie ein Mitglied des Orchesters mitspielen. In den zwei Jahren dort habe ich sehr viel gelernt. Gegen Ende durfte ich sogar die Erste Oboe spielen, aber auch Englischhorn habe ich gespielt.

Da fällt mir die heikle Solostelle in der „Sinfonie fantas-tique“ von H. Berlioz ein, wo Englischhorn und Oboe im Dialog sind. Hatten Sie die schon einmal?

Ja, in der riesengroßen Royal Albert Hall in London. Roger Norrington verlangte, dass ich die Antwort der Oboe von der Galerie aus spiele. Das waren 100 m Luftlinie. Den Diri-genten konnte ich nur auf dem Monitor sehen. Also musste ich vor seinem Schlag anfangen. Bei der dritten Phase musste ich dann zusammen mit dem Englischhorn sein.

Haben Sie es geschafft?

Nach einigen Proben hat es geklappt.

Kennen Sie Lampenfieber?

Nein, das kenne ich nicht. Natürlich gibt’s Momente, in denen ich mich unwohl fühle, aber wenn ich dem Rohr vertrauen kann und gut vorbereitet bin, dann weiß ich, dass alles ok wird.

Werden Sie länger in Salzburg bleiben?

Die Atmosphäre im Orchester ist ganz besonders. Wir sind eine Gemeinschaft und verstehen uns untereinander sehr gut. Ausserdem bin ich verliebt in Salzburg. Die Größe der Stadt ist für mich ideal. Ich kann viele Dinge mit dem Rad unternehmen und ich überlege, mir hier eine Wohnung zu kaufen.

Vielen Dank für das anregende Gespräch!

Stand:

2012
Do
19. Okt
2023
19:30
Großer Saal Stiftung Mozarteum

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Donnerstagskonzert 2
   (GOMYO | CALIN | CARYDIS)

SCHUMANN Drei Romanzen op. 94 für Oboe und Klavier
MENDELSSOHN-BARTHOLDY Konzert für Violine und Orchester e-moll op. 64
MENDELSSOHN-BARTHOLDY Fuge Nr. 8 in Es-Dur
SCHUMANN Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 97 „Die Rheinische“

Karen Gomyo, Sasha Calin & Constantinos Carydis
Do, 19. Okt 2023 |
19:30 Uhr
Großer Saal Stiftung Mozarteum

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