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Gottfried Franz Kasparek im Gespräch mit Sophia Herbig
„Grundsätzlich geht es mir sehr gut“, meint die Geigerin Sophia Herbig am Telefon. Ohne die Frage nach der Befindlichkeit in Corona-Zeiten ist ja derzeit kaum ein Interview denkbar. Aber die eloquente Gesprächspartnerin vermisst „das regelmäßige musikalische Miteinander, vor allem im Konzert. Denn der Moment, in dem man für das Publikum spielt, ist einfach etwas ganz Besonderes. Ein Konzerterlebnis wird von beiden Seiten, von den Musizierenden und von den Menschen im Saal geschaffen, es ist eine gemeinsame Kreation.“ Und wenn das Publikum in den „Geisterkonzerten“ sozusagen virtuell anwesend ist? „Mediale Präsenz ist gerade in dieser Situation natürlich notwendig und hilfreich und vielleicht auch eine Anregung, die man in die ‚Normalität’ mitnehmen kann. Aber das Livekonzert kann dadurch nicht ersetzt werden. Unsere Konzerte sind ja meist für späteres Streamen bestimmt, was sich dann ähnlich wie eine Studioaufnahme oder eine geschlossene Generalprobe anfühlt. Bei einem Live-Streaming empfinde ich mehr Spannung, aber die unmittelbare Energie des Publikums ist auch dann nicht spürbar.“
Außerdem beschäftigt sich Sophia Herbig intensiv mit Kammermusik, die sie sehr liebt. „Das ist ein sehr wichtiger Teil meines Lebens“, erzählt sie, „und ich konnte die vergangenen Monate nutzen, um neues Repertoire zu erlernen, unter anderem Violinsonaten von Mozart, Schubert und Janácek – was für eine tolle Musik! Ich probe regelmäßig und es sind einige Auftritte mit Kammermusik im Sommer geplant.“ Darauf hoffen wir - und auf eine Zusammenarbeit im Zyklus des Vereins in näherer Zukunft. Wie geht es der Individualistin Sophia Herbig im Orchester? „Ich denke, man kann seine Individualität zwar nicht uneingeschränkt ausleben, aber es ist doch Platz für das Einbringen der eigenen und jeweils unterschiedlichen Stärken. Gerade die Vereinigung von verschiedenen Persönlichkeiten kann die Kraft eines Kollektivs ausmachen. Dennoch bleibt es eine spannende Gratwanderung zwischen dem Einbringen der eigenen Persönlichkeit und dem Einfügen in ein Kollektiv. Als sehr wesentlich empfinde ich, dass entweder vom Dirigentenpult klare Vorstellungen kommuniziert werden oder aber eine klare gemeinsame Herangehensweise an Musik erarbeitet wird.“
Sophia Herbig entstammt einer Musikerfamilie. Beide Eltern unterrichten Geige, es gibt einen Klavier spielenden Stiefvater und eine als Cellistin tätige Schwester. Das Licht der Welt erblickte Sophia 1992 im schönen Starnberg am See, aufgewachsen ist sie in München. Schon sehr früh, mit dreieinhalb Jahren, hat sie auf einer Kindergeige begonnen, die Eltern nachzuahmen, wie das Kinder so tun. „Bald wurde das Geigespielen immer wichtiger - ungefähr im Alter von acht Jahren war mir klar, dass ich Berufsmusikerin werden will.“ Von 2005 bis 2007 war sie Jungstudentin bei Sonja Korkeala an der Musikhochschule in München, 2007 wechselte sie, einer Empfehlung ihres Vaters folgend, ans Mozarteum in Salzburg, wo sie bis 2015 die Klasse von Wonji Kim-Ozim und Igor Ozim besuchte. „In den ersten vier Jahren ging ich noch in München zur Schule und pendelte immer nach Salzburg. Ich erlernte eine solide geigerische Basis und machte bedeutende Schritte hin zum geigerischen Bewusstsein.“ Zur höchst profunden Ausbildung durch das Ehepaar Ozim kamen wertvolle Besuche von Meisterklassen, zum Beispiel bei Zakhar Bron, Kurt Sassmannshaus und Renaud Capuçon, Tanja Becker-Bender und Benjamin Schmid.
Besonders in Erinnerung geblieben sind Begegnungen mit Leonidas Kavakos und Ivry Gytlis. „Mit Kavakos arbeitete ich während meiner Zeit in der Akademie des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, die ich von 2017 bis 2019 als Stipendiatin besuchte. Damals hatte ich mit Krisen und Verunsicherungen umzugehen und Kavakos hat mich sehr darin bestärkt, meinen persönlichen Zugang zur Musik und Freiheit im Ausdruck zu suchen.“ Einzigartig war für Sophia Herbig ein Treffen mit dem mittlerweile leider verstorbenen, sehr charismatischen Ivry Gytlis: „Das ergab sich ganz spontan auf einer Tournee mit einem Jugendorchester. Es war eine absolut außergewöhnliche und inspirierende Begegnung, für die ich sehr, sehr dankbar bin“.
Im Jahr 2015 wechselte sie am Mozarteum in die Klasse von Rainer Schmidt: „Er hat mich musikalisch und menschlich ganz besonders geprägt, ich bin ihm unendlich dankbar.“ Seit 2016 ist das „Progetto Spira Mirabilis“ mit der Erarbeitung von Orchesterstücken ohne Dirigent in Italien ein wichtiger Termin. Außerdem sammelte sie in Klangkörpern wie dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dem Mahler Chamber Orchestra, dem Royal Concertgebouw Orkest und den Münchner Philharmonikern unterschiedlichste Erfahrungen im Orchesterspiel. In der Saison 2016/17 hatte Sophia Herbig bereits einen Zeitvertrag bei den 1. Violinen des Mozarteumorchesters. „Ich fühlte mich schnell sehr wohl im Orchester. Der Abschied, als ich 2017 nach München zog, war damals nicht leicht. Umso schöner ist es, dass ich nun seit Oktober 2019 als Stimmführerin der 2. Violinen zum Orchester und nach Salzburg zurückzukehren konnte und die Probezeit bestanden habe.“ Was macht eigentlich eine Stimmführerin? „Da bin ich selber noch auf der Suche“, antwortet die sympathische Künstlerin und lacht, „aber es geht natürlich vor allem um die Kommunikation mit dem Dirigenten oder der Dirigentin und den Stimmführerkollegen der anderen Gruppen auf der einen und der 2. Geigen im Orchester auf der anderen Seite. Außerdem darum, die Energie und Vorstellungskraft des Dirigenten unmittelbar aufzuschnappen und weiterzugeben.“
Energie, die zum Beispiel vom leidenschaftlichen Musiker Riccardo Minasi kommt: „Ich kann von unserem Chefdirigenten viel lernen, gerade, weil er aus der Originalklangkultur kommt. Durch ihn erfahre ich neue Einflüsse - abseits meiner Prägungen, was manchmal auch herausfordernd ist, meine Farbpalette aber reicher werden lässt.“ Zu Sophia Herbigs Lieblingen am Pult gehören auch Daniele Gatti, Yannick Nezet-Seguin und nun besonders Jörg Widmann: „Ich freue mich schon sehr, wenn er im Sommer als Dirigent und Klarinettist wieder zum Mozarteumorchester kommt. Seine Art des Arbeitens und die Herangehensweise an Musik sind faszinierend und für mich persönlich sehr erfüllend!“ Und seine Musiksprache? „Der Versuch über die Fuge’, den wir im Juli 2020 erarbeitet haben, war für mich der Anstoß, mich der zeitgenössischen Musik mehr zu öffnen. Ich finde, dass auch neue Musik ein Seelenbild darstellen sollte und nicht ein reines Experimentieren mit neuen Effekten. Von Widmanns Musik fühle ich mich sehr angesprochen.“ Gibt es Lieblingskomponisten? „Brahms liebe ich schon lange, aber derzeit ist Franz Schubert für mich besonders präsent. Und Schumann – ich plane eine ‚Dichterliebe’, in der ich die Gesangstimme spiele, mit Rezitationen der Heine-Gedichte dazwischen.“ Wie steht es mit dem Musiktheater? „Oper ist wahnsinnig spannend und für mich noch ein relativ neues Feld; ich finde die Mischung aus symphonischen Programmen und Oper, die wir hier im Mozarteumorchester haben, wunderbar. Privat höre ich unglaublich gerne Jazz; Improvisation interessiert mich sehr und ich würde mich in Zukunft gerne damit beschäftigen – es gibt überhaupt so viel zu entdecken und erlernen.“
Hat eine derart vielseitige und nachdenkliche, den Dingen auf den Grund gehende und neugierige Musikerin da noch Platz für Hobbys? „Ich lese sehr gerne, beschäftige mich mit der Feldenkrais-Methode und liebe das Wandern, die Bewegung in der Natur. Auf einen Berg zu gehen ist eine wunderbare Parabel für das Leben: die Anstrengungen des Aufstiegs, die vielen kleinen Schritte, schließlich das Ankommen in der Höhe – es wird ganz deutlich: Der Weg ist das Ziel…“ Freuen wir uns also auf die nächste „Alpensinfonie“ von Strauss und andere musikalische Wanderungen ohne allzu große Abstände und ohne Maulkörbe. Ich habe im Internet noch ein musikalisches Credo Sophia Herbigs entdeckt und möchte es an den Schluss dieses schönen Gesprächs stellen:
„Es ist schwierig, in einem kurzen Text mein Verhältnis zur Musik zu beschreiben oder generell über Musik zu schreiben. Ich weiß nicht, ob es überhaupt möglich ist, den Kern der Musik mit Worten zu treffen. Daher möchte ich lieber meiner Dankbarkeit Ausdruck verleihen, Musik machen zu dürfen. Ich denke, wer Musik macht, gelangt in einen kreativen Prozess, der sich nicht nur mit der Kunst, sondern mit der eigenen Person auseinandersetzt und zur Individualität führt. Eine schönere und auch wichtigere Beschäftigung kann ich mir kaum vorstellen!“
Ein Interview mit Sophia Herbig in der Süddeutschen Zeitung können Sie hier nachlesen.
Stand:
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