Mozarteumorchester Salzburg > Interviews > Stephan Schultz
Seit August 2021 leitet er die „Künstlerische Produktion“ des Mozarteumorchesters. Stephan Schultz hat ein bewegtes und buntes Leben hinter sich, von dem er so gut zu erzählen weiß, dass aus unserem Mittagstermin ein sechsstündiges Gespräch wird. Das Licht der Welt hat er am 3. März 1968 im Städtchen Lengerich in Westfalen erblickt, in der Mitte zwischen Osnabrück und Münster, dort, wo die „Friedensreiter“ Station gemacht haben. Da ging es um den „Westfälischen Frieden“, der anno 1848 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Der Knabe Stephan ist im tiefsten Frieden aufgewachsen, „mit Fachwerk und Kühen“. Seine Eltern waren zwar keine Bauern, sondern Handwerker, aber neben ihrem Haus gab es eine Landwirtschaft. Spielte Musik eine Rolle daheim? „Ja, es war Hausmusik. Meine Mutter, die sehr offen für die Kunst war, spielte Gitarre, mein Vater Klavier und Akkordeon. Und ich begann im zwölften Lebensjahr mit dem Instrument meiner Mutter.“ Es ist ihm geblieben, auch heute noch spielt er ganz privat sowohl Konzert- als auch E-Gitarre.
An der altehrwürdigen Münsteraner Universität studierte Stephan Schultz nach dem Abitur Musikwissenschaft, Romanistik und Philosophie, später für das Lehramt Deutsch, Geschichte und Erziehungswissenschaft. Schon in seiner Studienzeit war er von 1988 bis 1991 für die komplette Theatertechnik der „Studiobühne Münster“ verantwortlich und betreute viele „deutsche Klassiker“. Dies machte er auch 1994/95 bei den Freilichtspielen in Tecklenburg, wo er auch schon als Inspizient tätig war. Doch nach dem Studienabschluss lockte das damals in Deutschland groß aufgezogene Musical. „Zunächst hatten es amerikanische Produktionen allerdings schwer. Die Inspiration dazu kam übrigens aus Wien, wo der legendäre Direktor und Schauspieler Peter Weck im Theater an der Wien riesige Erfolge mit Musicalserien feierte“, erzählt Schultz. In der Stadt der Operette war das Musical ja dank Marcel Prawy schon seit den Fünfzigerjahren prominent vertreten, allerdings auf öffentlich geförderten Bühnen. Die „Musical Hall Stuttgart“ dagegen war ein privates Unternehmen. „Aber ich kam in eine hoch professionelle Theaterwelt, in der modernste Technik eingesetzt wurde. Mit aufwändigen Produktionen der Stücke von Andrew Lloyd Webber stellte sich auch der Erfolg ein“. Zunächst war „Miss Saigon“, die an „Madama Butterfly“ angelehnte Liebesgeschichte aus dem Vietnamkrieg, ein Renner: „Ich war ab Juli 1996 Stage Manager und Caller, das sind Inspizient und Abendspielleiter in einer Person, in dieser Produktion und leitete bis 1998 nicht weniger als 285 Vorstellungen.“ Das war die Glanzzeit der „Stella Musical-Produktions GmbH“, bei der „Hubschrauber auf der Bühne landeten.“ Nach einem berufsbegleiteten Aufbaustudium in Kulturmanagement begleitete er Produktionen wie „Cats“ und „The Phantom of the Opera“ als Company Manager.
Stephan Schultz war bis zum für „Stella“ fatalen Jänner 2000 und dann noch bis zu weiteren „Insolvenzen und Restrukturierungsmaßnahmen“ in vielen Produktionen, so auch bei „Die Schöne und das Biest“ und „Tanz der Vampire“, unverzichtbar als Manager, Planer und Macher. Er hat aber immer versucht, „den Anschluss zwischen Technik und Kunst“ zu finden und besuchte häufig die in diesen Zeiten vom Feuilleton gefeierte Staatsoper Stuttgart und andere „klassische“ Bühnen und Konzertsäle. Im Jahr 2004 machte er sich selbständig als „STEPHAN SCHULTZ Kultur & Event Management“ und arbeitete viel für das Musikensemble „TANGO FIVE“. Das war, erzählt er, „ein bewusster Ausflug in die Kleinkunstszene. Ich mache nicht gerne zu viel Neues vom Gleichen, ich brauche die Abwechslung!“
Eine große, unvergessliche Abwechslung war 2007 und 2008 die Tätigkeit als „Production Managing Director“ von André Hellers Zirkusproduktionen „AFRIKA! AFRIKA!“ mit Gastspielen in Franfurt am Main, Hamburg, München, Wien, Salzburg – „wir waren am Ausstellungsgelände, dort, wo jetzt das Zelt des Landestheaters stand – von Salzburg habe ich nicht viel mehr mitbekommen als das Hotelzimmer …“ – , Zürich, Basel, Amsterdam, Luxemburg, London und Manchester. Stephan Schultz erinnert sich: „André Heller, eine charismatische Persönlichkeit, beherrscht das Geheimnis, massentaugliche Projekte zu machen und gleichzeitig das Feuilleton zu erreichen.“ Die Sache hatte übrigen nichts mit der umstrittenen, „häufig das Kind mit dem Bad ausschüttenden sogenannten kulturellen Aneignung“ zu tun. „Es waren farbige Künstlerinnen und Künstler, aus ganz Afrika, manche auch aus Frankreich, wunderbare Leute, wertvolle Menschen, die da ihre Kunst zeigten. Für mich waren das Jahre des Dazulernens auf ganz vielen Ebenen. Natürlich mussten wir zueinander finden, aber wir haben neue Perspektiven entwickelt und kamen zu einem ganzheitlichen Erlebnis. Für mich war es meine größte mobile Zeit mit Arbeit Tag und Nacht. Wir waren ja mit hundert Trucks unterwegs.“
Im Jahr 2009 folgten das German Pops Orchestra“ von Professor Bernd Ruf und eine völlige Neuorientierung. „Ich fühlte mich ausgelaugt und wollte etwas ganz Anderes machen. Da ich immer schon großes Interesse an der Gastronomie hatte, machte ich von 2010 bis 2011 zunächst ein Praktikum, dann eine Kochausbildung bei Küchenmeister Alexander Ehrgott im Gutsrestaurant Schloss Vollrads im Rheingau. Andere Leute gehen ins Kloster, ich ging in die Küche. Ich habe hart gearbeitet, richtig geschuftet, und war von 2011 bis 2015 Chef de Partie in diesem edlen Riesling-Weingut.“ Doch nicht nur das, denn die Faszination der Kunst ging nicht verloren. „Die Sache ließ sich gut mit dem Event-Management für das Rheingau Musik Festival verbinden und im Herbst 2013 kehrte ich noch einmal zu André Hellers afrikanischem Zirkustheater zurück, diesmal im Festspielhaus Baden-Baden.“ Und 2014 war er auch Company Manager für das Musical „Dirty Dancing“ in Berlin. Es folgte 2016 noch „Carmen Cubana“ unter Kim Duddy am Deutschen Theater in München.
Und wieder ein Sprung ins kalte Wasser. „Im August 2016 engagierte mich Intendant Carl Philip von Maldeghem als Chefdisponent des Salzburger Landestheaters. Maldeghem war begeistert, da ich eigentlich ein Quereinsteiger war und ein Spezialist für eigene und neue Wege. Für mich war es eine willkommene Rückkehr zu den alten Lieben Musik und Sprechtheater. Mein Vorgänger Hajo Erxleben, ein echter Theaterpraktiker, der nach zwölf Jahren in Pension ging, hat mich eingeschult. Man muss sozusagen die Spielregeln kennen und eine solide Ausbildung haben, das kam mir zu Gute. Meine große Erfahrung mit modernen Unternehmensstrukturen war auch ein Vorzug, ich konnte vieles am Haus erneuern, was Planungssoftware und Kommunikationswege betraf.“ Wir könnten jetzt auch lange über künstlerische Exzellenz im Spannungsfeld zwischen Werteverfall, oft fragwürdiger Kulturpolitik und Mainstream diskutieren. Jedenfalls waren die fünf Jahre in einem im Grunde traditionellen Theaterbetrieb sehr lehrreich und von großem Wert, samt Corona-Unbill. Die nächste Herausforderung ließ nicht auf sich warten. Nach der Pensionierung von Gabi Fischer stellte der gleichfalls neue Orchesterdirektor Siegwald Bütow die Verwaltung des Mozarteumorchesters neu auf und da war und ist Stephan Schultz exakt der richtige Mann.
„Es ist wieder eine spannende Aufgabe. Ein Orchester, noch dazu ein in so vielen Bereichen agierendes wie das Mozarteumorchester, ist eine komplizierte Gemeinschaft. Da gibt es den quasi eingeborenen „Markenkern“ Mozart und die internationale Wirkung, die Verpflichtung als vom Barock bis zur Neuen Musik einsetzbares Symphonieorchester der Region und die Tätigkeit als Theaterorchester samt großen Opernproduktionen in den Festspielhäusern, aber auch in der bekanntlich schwer zu realisierenden „leichten Muse“. Stephan Schultz ist guten Mutes, dass dies alles nach den pandemischen Problemen wieder zu blühen beginnt. Er findet es freilich „schade, dass die Salzburger Institutionen einander oft mehr im Wege stehen als zusammen zu arbeiten. Dabei könnte man so viele Synergien finden.“ Da kann man nur zustimmen. Die Arbeit im Orchesterhaus macht ihm jedenfalls Freude und wir hoffen gemeinsam, dass der Große Saal einmal publikumsfreundlicher umgebaut werden kann. Bei einem Mann wie Stephan Schultz, der seine Hobbys zum Beruf gemacht hat, erübrigt sich eigentlich die übliche Frage nach solchen. Er wohnt mit seiner Frau im nahen bayerischen Ainring. Die Frau, Susanne Ruprecht, diplomierte Musiktheater-Regisseurin, war unter der Leitung Götz Friedrichs an der Deutschen Oper Berlin und ist nun vor allem als Coach tätig. Ihr Mann hat von ihr „viel über die Oper gelernt“. Er pflegt seine Gitarren, kocht immer noch sehr gerne, liebt die Küchen anderer Länder – „das hat was mit Kultur zu tun, aber auch mit Sozialem“– und würde als mit dem Beruf verbundenes Hobby nennen: „Essen, Trinken und Reisen!“ Also sage ich Prost und Mahlzeit, wünsche schöne Reisen und freue mich auf unsere weitere, möglichst Institutionen verbindende und Kunst vermittelnde Zusammenarbeit.
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